Es war nicht gut bestellt um die Wiesbadener Leichtathletik im Jahr 1994. Nach dem Procedo-Skandal um den Alleinsponsor Dieter Klindworth stand der LAV Wiesbaden vor dem Untergang, und auch dem SV Wiesbaden das Wasser bis zum Hals. Der Grund: Die Fußball-Abteilung hatte Schulden in Höhe von ca. 600.000 DM angehäuft, mit der Insolvenz drohte die Gemeinnützigkeit verloren zu gehen und damit das Ende des Gesamtvereins, der 1899 gegründet worden war. Was tun?
Im heutigen Helmut-Schön-Sportpark gab es hektisch einberufene Krisensitzungen, nicht nur bei den Leichtathleten. Angesichts der ungewissen Zukunft entschied man sich am 4. Juli 1994, einen neuen Klub zu gründen - den Wiesbadener Leichtathletik Verein e.V. (WLV). An der Spitze der Bewegung standen der vormalige LAV-Sprecher Markus Ott sowie SVW-Urgestein Peter Schulte und seine Frau Ute, Sibylle und Zlatko Zigric, Gerda Schwenzer und Weitere. „Wir konnten nicht tatenlos zusehen, wie alles den Bach heruntergeht“, hat Schulte einmal gesagt.
Zwei Jahre später hatte sich der aus der Not geborene Klub prächtig entwickelt: Aus zunächst 200 Mitgliedern waren 400 geworden, 23 Trainer und Übungsleiter kümmerten sich insbesondere um den Nachwuchs. Im Juni 1996 wurde bei einem Abendsportfest die neue elektronische Zeitmessanlage eingeweiht, erster gestoppter Wert waren 10,56 Sekunden des Sprinters Andreas Koch vom USC Mainz über 100 Meter. Für nationales und internationales Renommee sorgte der 1995 erstmalig ausgetragene und von Schulte initiierte Diskus-Cup auf dem Werferplatz. Dort gaben sich Olympiasieger, Welt- und Europameister alljährlich im Mai die Klinke in die Hand: Stars wie Lars Riedel, Ilke Wyludda, Franka Dietzsch, später Robert Harting und sein Bruder Christoph.
Der WLV brachte selbst viele national erfolgreiche Talente hervor. Etwa den Zehnkämpfer und deutschen B-Jugendmeister im Weitsprung, Jerome Abraham, die Zehnkämpfer Roland und Alexander Clauss und Jörg Schulte, der mit dem Diskus 59,13 Meter erreichte (1999). Der deutsche U18-Hallenmeister über 200 Meter, Simon Schütz, hatte verletzungsbedingt leider nur eine kurze Karriere in den frühen 2000ern.
Schlagzeilen machten auch Weitspringerin Xenia Stolz (Bestleistung 6,74 Meter) und Michael Pohl, der im WLV-Trikot deutscher Vizemeister über 100 Meter wurde (10,26s/2017). Ein weiterer ehemaliger WLV-Topathlet ist der Mittelstreckenläufer Marc Reuther (EM-Teilnehmer 2018, mehrfacher Deutscher Meister), der heute am Bundesstützpunkt Frankfurt trainiert. Auch Oliver Koletzko konnte ab der U18 seine Erfolge als WLV-Athlet feiern. Er krönte seine Zeit beim WLV 2021 mit dem U20-Europameistertitel in Tallinn.
Der Vorsitzende Peter Schulte hat sich auf der Jahreshauptversammlung am 31. März 2017 nach 23 Jahren aus gesundheitlichen Gründen zurückzogen und ist seitdem Ehrenvorsitzender, Markus Ott ging aus familiären Gründen. Beide übergaben einen anerkannten und stabilen Verein mit 600 Mitgliedern, darunter 380 Nachwuchstalente. Heute ist der WLV bundesweit bekannt und zählt zu den wichtigsten Leichtathletikvereinen Hessens.
Im Nachwuchsbereich ist der WLV mit vielen Athleten bestens aufgestellt. Moritz Becker und Elias Storck sind die jüngsten Zeugnisse der hervorragenden Nachwuchsarbeit und wurden zuletzt in den hessischen Landeskader berufen. Neben zahlreichen jungen Talenten haben wir auch ein vielseitiges und junges Trainerteam. Hinzu kommt, dass unsere Trainer Thorsten Groß und Peter Rouhi im Rahmen von Trainerlehrgängen als Referenten ihr Wissen an neue Trainer weitergeben. Mit Hawa Jalloh hat der WLV auch eine Athletin, die als Teil des DLV-Perspektivkaders zu Deutschlands größten Talenten zählt. Wir sind stolz diesen und allen weiteren Athleten und Trainern im WLV eine Heimat zu bieten und gemeinsam mit ihnen Erfolge zu feiern. Jedes Jahr kommen weitere talentierte Schüler und Jugendliche nach, die wir auf ihrem Weg mit großer Freude begleiten.
Nicht zuletzt hat der WLV maßgeblich dazu beigetragen, dass Wiesbaden zum Landesstützpunkt wurde und im Gutenberg-Gymnasium eine Lehrer-/Trainer-Stelle für die Leichtathletik entstand. Ansprechpartner ist unser U16-Trainer Diedrich Meyn. Auch die Karrieren wie jene von Mittelstrecken-Bundestrainer Georg Schmidt und Bundestrainer Kurzsprint David Corell begannen beim WLV. Peter Rouhi trainiert trotz seinen Tätigkeiten für den Landes- und Bundesverband (HLV-Cheftrainer Sprung, Bundestrainer Nachwuchs) weiterhin die Weit- und Dreisprunggruppe des WLV. In der Saison 2021 verlieh ihm der DLV den Titel „Nachwuchstrainer des Jahres“.